taz.de -- Die Wahrheit: Der Schatz des Seifenkönigs

Die Zeit des Reichtums begann an einem verregneten Tag mit einem zusammenbrechenden Regal und Geldscheinen mit mehr Nullen, als man zählen konnte.

Auch ich bin einmal reich gewesen – steinreich sogar. Mein Reichtum begann an einem verregneten Tag in den Sommerferien 1973. Ich stromerte mit meiner Schwester durch die Hallen der ehemaligen Seifenfabrik, denn ich hatte davon gehört, dass sich irgendwo in dem Gebäude noch immer der sagenhafte Schatz des alten Seifenkönigs befinden sollte.

Nachdem wir zwei oder drei Stunden in dem Komplex herumgetapert waren, entdeckte ich in einem Regal eine verstaubte Kassette. Kaum hatte ich sie berührt, brach das Regal in sich zusammen, und die Staubwolke, die dabei aufgewirbelt wurde, sorgte dafür, dass wir minutenlang von Niesanfällen geschüttelt wurden. Als sich die Wolke verzogen hatte, sahen wir, dass der Fußboden über und über mit Geldscheinen bedeckt war, die mehr Nullen besaßen, als wir sie zählen konnten. Wir hatten den Schatz des Seifenkönigs gefunden! Wir waren Millionäre!

„So“, sagte ich, „und nun rächen wir uns an Scharff, dem Mistnickel, für alles, was er uns angetan hat.“ Scharff gehörte der Tante-Emma-Laden in unserer Straße, und er hasste Kinder. Er behumste uns, wenn wir Lakritzschnecken kauften, und beschuldigte uns regelmäßig, ihn zu beklauen.

Ich stapfte, meine Schwester im Schlepptau, in seinen Laden und baute mich breitbeinig wie ein zwergenhafter Revolverheld vor seinem Tresen auf. „Was willst du, Kröte?“, sagte er. „Lakritzschnecken“, erwiderte ich, „und zwar alle, die Sie haben. Ich kaufe den ganzen Laden, und Sie sind entlassen! Da, den Rest können Sie behalten!“ Ich knallte ihm eine Zwei-Milliarden-Note auf den Tresen. Anders als erwartet aber riss Scharff den Schein nicht mit einem irren Kichern und Dollarzeichen in den Augen an sich, um daraufhin für immer aus unserer Welt zu entschwinden. Stattdessen griff er mit den Worten: „Na warte, du Satansbraten!“ nach seinem berüchtigten Teppichklopfer, sodass ich nur eilends Schwester und Geldschein schnappen und Reißaus nehmen konnte.

„Na, das hat ja super geklappt!“, meinte meine Schwester, aber ich hatte bereits einen neuen Plan und marschierte in das Kontor unseres Wohnungsvermieters. Er liebte es, unserer Mutter das Leben schwer zu machen, und so schmetterte ich den Zwei-Milliarden-Schein auf seinen Schreibtisch und kaufte das ganze Haus. Doch wieder dauerte es nur wenige Sekunden, bis wir kreischend das Weite suchen mussten.

„Hm“, machte ich und ging mit meiner Schwester in den Brunnenpark, um nachzudenken. Wir trafen dort den alten Käpt’n Jensen. „Käpt’n“, sagte ich, „Was nützt es, reich zu sein, wenn man sich für sein Geld nichts kaufen kann?“ Er nahm mir den Schein aus der Hand und betrachtete ihn. Dann sagte er: „1923, das war ein langes Jahr für unglückliche Millionäre.“

Als er den Schein anschließend lächelnd in Flammen setzte und sich mit ihm seine Pfeife anzündete, da wusste ich, dass Reichtum nichts bedeutete, ich aber unbedingt mit dem Rauchen anfangen wollte, wenn ich groß war. Aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte.

4 Mar 2013

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Schulz

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