taz.de -- Slayer-Gitarrist Hanneman gestorben: Der das Blut zum Frieren brachte

Er nutzte seine Gitarre als eine ästhetische Waffe und den Moment des Schocks. Mit Jeff Hanneman hat die Band Slayer einen Hexenmeister verloren.
Bild: Jeff Hanneman (Mitte, 2. v.r. zwischen Kerry King und Tom Araya) versetzte unserem Autor bei einem Konzert in München 1987 einen Kulturschock.

Am 5. Mai 1987 gastierte Jeff Hanneman in der Münchner Alabamahalle, im Rahmen der „Reign in Pain“-Europatour seiner Band Slayer. Er trug ein langes schwarzes Killernietenarmband, was sein Gitarrenspiel verkomplizierte, weil er den Arm der Nieten wegen extra verbiegen musste. Am Gniedeln und Heulen, am Wimmern und Brüllen, am ultraderben Solieren hinderte Hanneman das Armband keineswegs.

Slayer waren nicht nur laut. Sie waren infernalisch laut. Ohne Übertreibung darf ich sagen, dass es das lauteste Konzert war, dem ich für lange Zeit ausgesetzt war. Das kalifornische Quartett lieferte eine ungute Vorstellung davon, wie sich die Hölle anfühlen könnte: Es klingelte noch mehrere Tage danach in den Ohren.

Nicht nur die körperliche Gewalt dieser Erfahrung war prägend, auch der Kulturschock: für jemanden, der wie ich aus dem überschaubaren Punk und Indie-Underground der Achtziger kam und nun mit kuttentragenden Metalprolls und marodierenden Fußballfans des TSV 1860 München im Moshpit konfrontiert wurde. Pogo und Slamdancing waren nichts dagegen.

Meisterwerk des Thrashmetal

Slayer hatten kurz zuvor „Reign in Blood“ beim Def Jam-Label von Rick Rubin veröffentlicht. Mit seinem Produzentenhochamt begann eine Renaissance des Rock: Oldschool-HipHop und Metal trafen auf den Ideengeist der US- Hardcorepunkszene und konnten plötzlich als ästhetische Waffe gegen Musikspießer jeder Couleur eingesetzt werden. Nie wieder Faschismus, nie wieder Pop. Von heute aus gesehen ist „Reign in Blood“, ihr drittes Album, ein Genre-Klassiker, ein Meisterwerk. Thrash-Metal, Metal in Mach-3-Geschwindigkeit.

Dieser Speed gelang den beteiligten Musikern fast nebenbei: Ein kompromissloses, uhrwerkartiges Geknüppel auf der Doublebassdrum und rasende Wirbel, Teufelswerk des entfesselten Rhythmusknechts Dave Lombardo. Die Röchelstimme des Bassisten und Sängers Tom Araya lieferte dazu eine Absage an das theatralische Fisteln von achtziger Jahre Heavy-Metal-Gesang und sein 19. Jahrhundert-Ambiente. Dagegen schien Lombardo schon im nächsten Jahrhundert zu sein und beim Internisten seiner Gallenüberfunktion zu schwelgen.

Im Delirium

Für Nachgedanken blieb keine Zeit, denn das wechselseitige Achterbahn-Gitarrendelirium der beiden Äxteschwinger Kerry King und Jeff Hanneman machte aus jedem Slayersong einen Dreierlooping. Mindestens.

„Do you guys in Munich believe in witchery?“, fragte Tom Araya mit einem dämlichen Grinsen und von unten wurde auf die Bühne zurückgeröchelt, als hätten alle Bisonherden Nordamerikas auf einmal Rachitis. Der Hexer war in diesem Fall Jeff Hanneman. „Antichrist – Premium Quality“ prangte auf dem Körper seiner Gitarre.

Das trifft sowohl auf sein Verständnis von Rhythmus zu, das Dagga-Dagga seiner Gitarre, wenn Kollege King solierte, als auch auf seine antiklimatischen Soli, den Dauereinsatz des Wimmerhakens, die schwindelfreien Läufe, das alle Blutkörper zum Frieren bringende Jaulen.

Die Schuhe beim Konzert verloren

Slayer sollten noch weitere sieben Alben veröffentlichen, manch gutes Zeug ist dabei. Ich aber blieb bei „Reign in Blood“, blieb bei diesem unvergesslichen Konzerterlebnis, das gekrönt wurde, als ein Freund von mir im Moshpit die Schuhe abhanden kamen, und wir verzweifelt nach ihnen fahndeten.

Jeff Hanneman ist am Donnerstag im Alter von 49 Jahren in einem Krankenhaus im Süden Kaliforniens einem Leberversagen erlegen. Möge er im Himmel, Pardon, in der Hölle, mit seiner Axt weiterwimmern.

3 May 2013

AUTOREN

Julian Weber

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