taz.de -- Brechmittel-Prozess: Einstellen oder nicht?

Heute verhandelt das Landgericht Bremen wieder über den Brechmittel-Tod des mutmaßlichen Drogendealers Laye Condé. Kommende Woche könnte das Verfahren eingestellt werden. Für die taz diskutieren zwei Juristen das Für und Wider.
Bild: Haben sich auch schon mit der erzwungenen Verabreichung von Brechsirup befasst: Richter des Bundesgerichtshofs.

Den Bremer Brechmittelprozess einstellen? "Ja", erklärt Johannes Feest:

Dieses Verfahren ist gründlich verfahren. Bei der Frage, ob es eingestellt werden soll, bin ich ziemlich leidenschaftslos. Es macht für mich keinen großen Unterschied, ob der Angeklagte zu einer Geldbuße, Geldstrafe oder, im Höchstfall, zu einer Freiheitsstrafe (mit Bewährung) verurteilt werden wird. Nichts davon wird Laye Alama Condé wieder lebendig machen. Und diejenigen, die eine Bestrafung fordern, wird nichts davon zufrieden stellen. Das gilt auch für die Medien. Vielleicht erwarten sie einfach zu viel vom Strafrecht.

In der "Öffentlichen Protesterklärung" der Einstellungsgegner wird mit Recht angestrebt, dass der tragische Tod von Laye Alama Condé "nicht folgenlos" bleiben darf. Ganz ohne Folgen ist sein Tod allerdings nicht geblieben.

Die der Tragödie zugrunde liegende Bremer Brechmittelpolitik gehört definitiv der Vergangenheit an. Dafür hat die um den Fall Condé entstandene öffentliche Diskussion gesorgt. Vor allem aber, wieder einmal, eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Eine grundlegende Veränderung der Drogenpolitik in Richtung Entkriminalisierung lässt allerdings nach wie vor auf sich warten.

Auch für den Angeklagten hat das Verfahren einschneidende Folgen gehabt. Ihm ist von zwei verschiedenen Kammern des Landgerichts und in zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs bescheinigt worden, dass er so ungefähr alles falsch gemacht hat. Nur über die strafrechtliche Bewertung dieses niederschmetternden Ergebnisses konnten sich die beteiligten Juristen bisher nicht einigen. Hinzu kommt, dass er bei einer Verurteilung (schon durch die Verfahrenskosten) wirtschaftlich ruiniert wäre. Nach fast neun Jahren öffentlicher Strafverfolgung und Verurteilung muss man ernsthaft fragen, ob die Folgen der Tat für den Angeklagten noch viel Raum für eine darüber hinausgehende Bestrafung lassen.

Ziemlich folgenlos ist der Tod von Condé nur für die damals politisch Verantwortlichen geblieben, vom Polizeipräsidenten über den Innensenator bis zum Justizsenator und Senatspräsidenten. Für ihre Durchhaltepolitik in der Brechmittelfrage sind sie nie zur Rechenschaft gezogen worden.

Der Fall ist ein geradezu klassisches Beispiel für die Schwächen des Strafrechts bei der Aufarbeitung historischer Wahrheiten, aber auch für die Wiederherstellung des Rechtsfriedens. Andere Verfahrensweisen haben sich da als überlegen erwiesen, die aber bei uns nach wie vor nicht genutzt werden: restorative justice, Wahrheits- und Versöhnungskommissionen etc. In Bremen hat man es in diesem Fall noch nicht einmal zu einem klassischen parlamentarischen Untersuchungsausschuss gebracht. Peinlich.

Es besteht ein öffentliches Interesse an der Weiterführung des Strafverfahrens, erklärt hingegen Peter Derleder:

Ich war Zivilrichter und bin Privatrechtsprofessor, also kein Spezialist für Strafrecht. Meine Unterschrift bei der Protesterklärung gegen die Einstellung des Prozesses verdankt sich dem notwendigen rechtsstaatlichen Engagement. Dabei stütze ich mich lediglich auf die Information durch die Zeitungen und durch Fachzeitschriften.

Wenn der Bundesgerichtshof zweimal einen Freispruch für einen Polizeiarzt aufhebt und selbst die Tat als Körperverletzung mit Todesfolge qualifiziert, dann erscheint eine Einstellung des Verfahrens im weiteren Gang des Strafprozesses von vornherein als anrüchig. Dies gilt umso mehr, wenn es um den Tod eines aus Afrika stammenden mutmaßlichen Drogendealers durch den Brechmitteleinsatz eines Polizeiarztes geht.

Der Brechmitteleinsatz ist seit diesem Todesfall aufgrund einer Entscheidung der Polizeiführung eingestellt worden. Er war von vornherein als Tortur fragwürdig und ist auch vielfach kritisiert worden. Die Überlegungen, ob nicht andere, körperlich weniger intensive Maßnahmen zur Beweismittelsicherung genügt hätten, wurden nicht ausgeschöpft.

Unter diesen Rahmenbedingungen kann nicht der zur Beweismittelsicherung herangerufene Polizeiarzt Alleinverantwortlicher sein, der alles auszubaden hat, was dann geschieht. Vielmehr ist die Verantwortung der Polizeiführung in Betracht zu ziehen.

Dennoch hat auch der an der Front der Drogenbekämpfung tätige Polizeiarzt eine ärztliche Verantwortung, die seine Instrumentalisierung für die Strafverfolgung übersteigt und ethische Prinzipien zur Geltung bringt, die für jeden Mediziner gelten. Unter diesem Aspekt muss auch die strafrechtliche Würdigung seines Handelns stattfinden.

Tödliche Risiken waren schon nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der für alle Grundrechtseingriffe gilt, vor allem dann nicht mehr einzugehen, wenn bereits eine verschluckte Kokainkugel wieder ans Tageslicht befördert worden war. Darüber hat der erstinstanzliche Strafrichter nunmehr zu entscheiden. Insofern besteht ein öffentliches Interesse an der Weiterführung des Strafverfahrens.

20 Jun 2013

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Feest
Derleder

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