taz.de -- HAASENBURG: Schweigen um die Dressuranstalt
Hamburger Senat verweigert Diskussion über das umstrittene Jugendheim. In der SPD mehren sich Forderungen, die verwahrten Jugendlichen „rauszuholen“.
HAMBURG taz | Er habe ja schon viel erlebt in 17 Jahren als Fernseh-Moderator, sagt Herbert Schalthoff, „aber das noch nicht“. Der Hamburger Senat weigerte sich am Dienstag, im Polit-Talk „Schalthoff live“ im Lokalsender Hamburg 1 über das umstrittene Jugendheim Haasenburg zu diskutieren. Weder Sozialsenator Detlef Scheele noch sein Staatsrat Jan Pörksen (beide SPD) seien bereit, mit dem Anwalt Rudolf von Bracken zu debattieren. Der vertritt mehrere Jugendliche, die über Misshandlungen in dem Heim in Brandenburg klagen (taz berichtete mehrfach).
Auch der Anwalt der Haasenburg GmbH, Christian Bernzen, lehnte seine Teilnahme an der seit 1995 ausgestrahlten Talkshow ab, die in Hamburgs Politkreisen seit Langem zum Pflichttermin am Dienstagabend gehört. Der 50-jährige Bernzen gilt als bundesweit renommierter Experte für Jugendrecht. Zugleich ist er als Landesschatzmeister der Hamburger SPD Mitglied im Landesvorstand um Parteichef und Bürgermeister Olaf Scholz. 2004 war er Schatten-Sozialsenator im Team des damaligen SPD-Bürgermeisterkandidaten Thomas Mirow.
Seine Teilnahme an der Talkshow knüpfte der Politprofi jedoch an Bedingungen, die laut Schalthoff „unannehmbar“ waren. So sollte in der Sendung nicht über konkrete Fälle und das pädagogische Konzept der Haasenburg diskutiert werden und auch nicht über Bernzens Rolle als Anwalt der Haasenburg: „Worüber sollten wir dann reden?“, fragt sich Schalthoff: „Wir können uns ja nicht 45 Minuten lang anschweigen.“
Von Schweigen über die Haasenburg hält ein anderes prominentes Mitglied des SPD-Landesvorstands ebenfalls nichts. „Jeder Tag, an dem wir den Aufenthalt von Hamburger Jugendlichen dort rechtfertigen, diskreditiert unsere Partei in diesem Politikbereich“, urteilt der Bürgerschaftsabgeordnete und langjährige Hamburg-Chef der Gewerkschaft Ver.di, Wolfgang Rose.
In einer internen Mail an die Sozialpolitiker der SPD sowie an Senator Scheele und SPD-Fraktionschef Andreas Dressel schreibt Rose, „mit Pädagogik hat das Geschehen dort nichts zu tun“. Die Haasenburg sei „eher eine Dressuranstalt mit fragwürdigen Geschäftsinteressen“. Deshalb seien die Jugendlichen dort „unverzüglich herauszuholen“. Nicht nur ihm falle es schwer, schreibt Rose in der Mail, die der taz vorliegt, „jede öffentliche Äußerung oder Beteiligung an Veranstaltungen aus Fraktionsdisziplin zu verweigern“.
Die Sozialbehörde indes bleibt wortkarg. Sie teilte gestern mit, dass ihr keinerlei Erkenntnisse über „Übergriffe des Personals“ gegen minderjährige Heiminsassen vorlägen. Sie wolle aber auf einer beantragten Sondersitzung des Familienausschusses der Bürgerschaft am 25. Juli gern Stellung nehmen – aber nur „im nicht öffentlichen Teil“ der Sitzung.
Für Hamburgs CDU wirft jeder Tag, an dem sich weder Senat noch die SPD erklären, neue Fragen auf, anstatt welche zu beantworten. „Durch die Interessenkollision von Herrn Bernzen ist die Affäre mitten in der Spitze der Hamburger SPD angekommen“, kommentiert CDU-Fraktionsvize Roland Heintze.
In den Haasenburg-Heimen sollen Jugendliche verletzt worden sein. Ein früherer Heim-Mitarbeiter berichtete von „Isolation, Fixierungen und militärischem Drill“. Die Staatsanwaltschaft ermittelt bislang in acht Fällen, die Polizei prüft drei weitere Fälle. Derzeit befindet sich laut Sozialbehörde knapp ein Dutzend Jugendliche aus Hamburg in dem Heim. Sozialsenator Scheele hat nur angekündigt, nicht noch mehr Jugendliche nach Brandenburg zu schicken.
Schalthoff kündigte an, sich in seiner Sendung am Dienstagabend, die nach Redaktionsschluss der taz.nord um 20.15 Uhr ausgestrahlt wurde, klar zu positionieren. Er wolle mehrere Passagen aus der Bernzen-Mail zitieren und für die Sozialbehörde einen leeren Sessel hinstellen. „Wer nicht reden will“, so Schalthoff, „der muss eben fühlen.“
9 Jul 2013
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