taz.de -- Der sonntaz-Streit: „Unerfüllte Wünschelchen"

Taschengeld für die Kleinen? Erziehungsberaterin Gerlinde Unverzagt erinnert daran, dass Not erfinderisch macht. Wolfgang Schäuble sieht das anders.
Bild: Hattu Möhrchen? Nee: Schokolade, Sammelbildchen – und vielleicht auch schon ein iPad.

„Den Umgang mit Geld lernen Kinder nicht, indem sie es einfach ausgeben“, glaubt die Erziehungsexpertin Gerlinde Unverzagt. „Aus Angst, ein Wünschelchen könne unerfüllt bleiben, vergessen Eltern, dass Not und nicht Wohlstand erfinderisch macht.“

Wenn schon Sechsjährige versuchen, sich alles bezahlen zu lassen - vom Zimmeraufräumen über gute Noten bis zum Müll runterbringen - darf man sich nicht wundern, wenn Kinder mit der Verbissenheit von Gewerkschaftsbossen um Gehaltserhöhungen, Urlaubsgeld, Aufwandsentschädigungen und Inflationsausgleich feilschen, sagt Unverzagt im aktuellen sonntaz-Streit.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, CDU, widerspricht: „Im Gegenteil: Wenn Kinder feststellen, dass sie mit dem Euro aus ihrem Sparschwein die schwierige Wahl haben zwischen Karussellfahrt, Eis oder Spielzeug, gewinnt dieser Euro eine neue Wertschätzung“.

Gekaufter Status und Marke können jedoch eine übergroße Bedeutung gewinnen und das Taschengeld eine ungute Rolle spielen. Es komme jedoch auf die Eltern an, sagt der Bundesfinanzminister: „Geben sie ein klares Leitbild vor, welches sich an Werten und Idealen orientiert, wird sich die Frage nach Materialismus nicht stellen.“

Der gemeine Alltag

Torsun Burkhardt, der Sänger der Berliner Electropunk-Band Egotronic, findet: „Nicht das Taschengeld macht Kinder zu Materialisten, sondern der gemeine Alltag im Kapitalismus, bei dem schon die ganz Kleinen spätestens ab der Grundschule an die brutale Logik der Konkurrenz herangeführt werden“.

Die Professorin für Psychologie an der Universität Osnabrück Heidi Keller bezeichnet Taschengeld als „eine Erfindung der westlichen affluenten Mittelschichtsgesellschaft“. Sie schlägt als Alternative eine Gemeinschaftskasse vor, aus der sich die ganze Familie bedienen darf. „So lernen Kinder, die Bedürfnisse anderer in das eigene Wunschrepertoire mit aufzunehmen.“

Henning Kullak-Ublick vom Bund der Freien Waldorfschulen glaubt, ein paar praktische Erfahrungen mit Geld könnten ein guter Schutz vor exzessivem Konsum sein. Er empfiehlt ein Wochenbudget: Das Lebensalter des Kindes geteilt durch vier. Aber: „Angesichts der 2,6 Millionen Kinder, die jährlich weltweit verhungern, sprechen wir hier über ein Luxusproblem einer extrem materialistischen Gesellschaft.“

Die sonntaz-Frage beantworten außerdem Diana Bartl, die Gründerin des Projekts Schulschwein gegen Jugendverschuldung, Heinz Hilgers, der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, sowie Raphael Fellmer, der mit seiner jungen Familie im Konsum- und Geldstreik lebt - in der aktuellen sonntaz von 17./18. August 2013.

17 Aug 2013

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Dere

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