taz.de -- Sommerausflug Teil 9: Keine Lust zu fliehen

In unserer Serie sind wir für Sie über die Havel gepaddelt, haben mit Elchen meditiert und auf Pferde gewettet. Unser heutiger Autor kann darüber nur staunen.
Bild: Kein richtiger Ausflug, aber immer eine schöne Sache: Pause am Landwehrkanal.

Ich mache nur selten Ausflüge. Wahrscheinlich liegt es am Alleinleben. Und am Alter. Es ist ja bei vielen allein lebenden Männern um die fünfzig so. Vor allem,wenn sie selbstständig und psychisch instabil sind, weniger als 1.000 Euros verdienen und zu planlosem Alleinsein tendieren.

Man hat keine Familie, und die Familie der Schwester, mit der man Ausflüge macht, wenn man sie besucht, lebt weit weg. Man ist grad auch nicht verliebt und wäre ja sowieso eigentlich vielleicht auch viel zu dünn dafür. Mit einer Freundin würde man vermutlich Ausflüge machen. Freundinnen haben immer gute Ideen, zustimmend murmelt man „ja, ja“, und am Abend ist es ein schöner Ausflug gewesen, über den man sich immer wieder gern unterhält.

Das Schreiben spielt sicher auch eine Rolle. Ständig sitzt man am Schreibtisch, macht sich Notizen oder verliert sich im Internet. Allein am Schreibtisch zu sitzen erscheint mir normal, allein rauszugehen, um sich zu vergnügen oder irgendetwas anzugucken, kommt mir komisch vor. Jenseits des Schreibtischs fühle ich mich deplatziert, jedenfalls wenn es nichts zu tun gibt, zum Beispiel Essen kaufen, lesen, schreiben oder spielen.

Meine Ausflugsfrequenz liegt inzwischen etwa bei zwei pro Jahr. Meist gibt es einen zu Ostern und einen im Sommer. Ausflugskompetente Freunde mit Auto rufen an, und ich tapere hinter ihnen her. Es ist immer schön. Wir kennen uns ja auch schon seit Jahren. Manchmal essen wir was und abends sind wir wieder zu Hause. Die Namen der Orte hab ich vergessen oder nie so genau hingehört. Meist handelt es sich um die Umrundung eines Sees. Wenn Ostern ist, springt S. ins Wasser, und es ist lustig.

Reisen wie der alte Kant

Ein bisschen lebe ich wie Immanuel Kant in seinen letzten Jahren. Nur selten verließ der Philosoph sein Zimmer im Obergeschoss. Wenn er doch einmal ins Erdgeschoss ging, sprach er von „großen Reisen“. Höchst selten fuhr er weg, verfasste aber einen wahrheitsgetreuen Bericht über seine Reise in den Himmel.

Man tendiert dazu, seine Ausflugsinkompetenz oder wohlwollende Ausflugsdesinteressiertheit leicht trübsinnig zu beschreiben, und vergisst dabei, dass es ja Gründe gibt, die mit der eigenen Lebensorganisation zu tun haben: Weil man Schulden hat und frei arbeitet, ist immer noch irgendetwas zu tun, man hat kein Wochenende, an dem man sich zurücklehnen bzw. irgendwohin aufbrechen kann.

Mitte der 90er, als ich mal kurz gut verdiente, unter dem Einfluss von Techno sicher auch, hatte ich mir eigentlich geschworen, mich am Wochenende zu amüsieren, anstatt zu arbeiten, also eine Trennlinie zwischen Arbeit und Freizeit zu ziehen, und oft mit Freunden gestritten, die sich aus so nachvollziehbaren wie schwachsinnigen Gründen mit Arbeit kaputtmachten.

Zwei, drei Jahre hatte ich Wochenenden mit Ausflügen, Ausgehen und all diesen Dingen. Aber so richtig wohl fühlte ich mich dabei nicht, und das meiste, was ich damals schrieb, gefällt mir heute nicht mehr. So wie ich jetzt lebe, ist es sicher auch nicht richtig, liegt mir aber doch mehr.

Grübel, grübel.

Manchmal gibt es dann doch schöne Ausflüge. Einen hatte ich unternommen. Oder es war so: Die Sonne schien, es war im Mai. B. hatte gefragt, ob wir nicht einen Ausflug machen wollten zur Datsche einer Freundin in der Brandenburger Wildnis.

Der Plan war, sich am Vormittag – es war, glaube ich, Freitag – zu treffen, zur Datsche zu fahren, dort die Blumen zu gießen, etwas zu essen, Backgammon zu spielen und dann wieder zurück.

Ich war ziemlich aufgeregt. Irgendwie verschob sich dann der Zeitplan nach hinten, ein bisschen. Als ich endlich gegen Mittag bei B. war, war er auch noch nicht fertig. Tags zuvor hatte er Spätschicht gehabt. Eine Weile saßen wir also herum, guckten Snooker auf Eurosport, tranken Kaffee, unterhielten uns.

Dies und das war noch in B.s Wohnung zu tun. Dann dauerte es wieder, die Abfahrtszeiten der Verkehrsmittel herauszufinden. Alles verschob sich nach hinten. Endlich brachen wir auf, mussten aber noch zu Kaiser’s, um Essenssachen zu kaufen. Weil B. in der Gastronomie arbeitet, kennt er sich gut aus und kaufte besonders schöne Essenssachen.

Schnell noch einen Joint

Weil das Einkaufen etwas länger dauerte als geplant, verschob sich alles wieder ein bisschen. Es war schwül und heiß. Wir gingen die Kottbusser Straße hinunter, setzten uns noch ein bisschen ans Ufer, B. drehte einen Joint. Ein superbreiter, voll verglaster Ausflugsdampfer fuhr an uns vorbei, ich glaube, es war die „Spreeprinzessin“. Man hörte, wie der Conférencier auf dem Schiff von der Bauausstellung und solchen Sachen erzählte.

„Und hier sehen Sie zwei Kreuzberger Kiffer, haha“, sagte B. Wir rauchten und tranken Wasser, und alles war super. Ich erzählte, wie ich irgendwann mal in den Kanal gesprungen war, einem Volleyball hinterher, der ins Wasser gefallen war, an einem heißen Sommerabend Anfang der Neunziger. B. zitierte den Witz eines amerikanischen Komikers, der sich über Gesundheitsverordnungen mokierte, in denen es um Trinkwasser ging. Ich bewunderte ihn, weil so viele lustige amerikanische Komikergeschichten in seinem Kopf sind, als wäre sein Kopf ein Tonband. Wir sprachen über das Barbie-Dreamhouse und feministische Kolleginnen, die sich dagegen empörten. Zuckerwatte schob sich zwischen Ich und Umgebung. Dann gingen wir weiter.

Es war schön, keine Verantwortung für die Reise zu tragen und B. einfach nur hinterherzutrotten. Mit der U-Bahn fuhren wir zur S-Bahn. Mit der S-Bahn zu einem anderen Bahnhof. Der Waggon war voll, die Leute sahen interessant aus. Von Weitem sah ich sie dann kommen. Das heißt B., der eine Fahrkarte hatte, sah sie zuerst und machte mich auf sie aufmerksam, aber ich hatte keine Lust zu fliehen, und es gab keine Versteckmöglichkeiten. Die Kontrolleure waren freundlich und ich dann doch recht deprimiert. Am Bahnhof kaufte ich mir eine Karte. Der Zug hatte dann aber 40 Minuten Verspätung. Das machte nun alles keinen Sinn mehr.

Wir fuhren nach Hause und spielten lange Backgammon. Ein bisschen ärgerte ich mich noch, aber eigentlich war es ein toller Ausflug gewesen.

21 Aug 2013

AUTOREN

Detlef Kuhlbrodt

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Brandenburg

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