taz.de -- Kommentar Protest gegen Überwachung: Nackt sind wir sowieso
Wer kein Hacker oder Systemadministrator ist, scheint hilflos gegen die weltweite Überwachung. Das stimmt aber nicht: Analoger Protest ist möglich.
„Blasen – nicht saugen“, schreit der eine Hacker den anderen an. Die beiden versuchen eine Plastikflasche mit Zettelbotschaft und LED, die man durch die gelbe Röhre leuchten sieht, ins obere Stockwerk zu schießen. Die mit Staubsaugern betriebene Rohrpost namens „Seidenstraße“ war eines der vielen kreativen Projekte auf dem Hackerkongress 30C3 am vergangenen Wochenende.
Der 30. Chaos Communication Congress in Hamburg war Bastelstunde und Aktivistentreffen zugleich. Im Erdgeschoss wurden Zuckerwatte, LED-Herzen und Koffeinpulver hergestellt, im zweiten Stock stellte der Hacker Jacob Appelbaum die zusammen mit dem Spiegel aufbereiteten [1][neuesten Snowden-Enthüllungen vor]. Die NSA, berichtete Appelbaum, könne schon allein beim Aufruf von Webseiten wie Yahoo, Google oder Facebook Ausspähsoftware auf den Rechnern von Zielpersonen installieren, ohne dass die Betroffenen davon etwas bemerkten. Bei mindestens 85.000 Computern von Einzelpersonen, Unternehmen sowie Telefon- und Internetanbietern weltweit sei das der Fall.
Diese bösen Fakten ließen die großen Redner der Netzbewegung – Appelbaum, Julian Assange und den mit Edward Snowden zusammenarbeitende US-Journalist Gleen Greenwald – einen Appell an das Publikum lancieren: Leakt!
Unter dem Motto „Systemadministratoren der Welt, vereinigt euch!“ forderte Assange via Skype aus der ecuadorianischen Botschaft in London die Admins auf, brisante Informationen ihrer Unternehmen zu veröffentlichen. Appelbaum meinte, sie sollten gar in die Geheimdienste eintreten, um so die Behörden „von innen heraus zu verändern“.
Unbefriedigende Angebote
Das Problem: Nur der kleinere Teil der Welt gehört zum erlesenen Kreis der Systemadministratoren. Was kann der Rest tun?, fragt da also berechtigterweise ein Teilnehmer die großen Redner. Unterstützt Snowden und alle anderen Whistleblower!, sagt Appelbaum – so die durchaus unbefriedigende Antwort.
Jede Bewegung hat ihre Protestangebote. Shell und Palmölindustrie kann man nebenbei boykottieren, Börsen, Wälder und Hauptversammlungen zu besetzen ist aufwendiger, aber effektiv: Die Aktionen bringen Bilder und Geschichten, die in die Welt getragen werden können. Für abstrakte Begriffe wie digitale Bürgerrechte oder Netzneutralität gibt es bisher hingegen nur das ebenfalls abstrakte Wehren im Netz.
Natürlich sollte trotzdem jeder versuchen, sich eine Burg zu bauen und es den Datensammlern schwer zu machen. Von Diensten wie Google und Facebook kann sich jeder abmelden, Anleitungen, wie man seine Mails und Festplatten verschlüsselt oder anonym surft, gibt es zuhauf im Netz. Doch mit jeder aufpoppenden Snowden-Veröffentlichung steigen Ohnmacht und Paranoia vor der Totalüberwachung. Irgendwo gibt es immer eine Hintertür, mit der die Dienste einsteigen und Daten abgreifen können. Hilflosigkeit und Resignation stellen sich beim Normalo-Internetnutzer ein. Wie soll man gegen die großen Geheimdienste und internationalen Verträge ankommen?
Nackt in den Bundestag
Gegen digitale Überwachung hilft nur analoger Protest. Während Hacker und Programmierer an Alternativen zu den großen sozialen Netzwerken, E-Mail-Providern und Browsern tüfteln, braucht der Rest der Bewegung greifbare Protestformen, die interessanter sind als die Demo mit ein paar Hundert Menschen in der Innenstadt.
Also, Menschen, zieht euch kollektiv im Bundestag aus, im Internet sind wir eh alle nackt. Schickt Beschwerden an das Wahlkreisbüro eurer Europaabgeordneten, in Flaschen oder per Brieftauben statt per De-Mail. Baut eine Rohrpost zu euren Nachbarn über die Balkone hinweg. Blast den Ärger heraus, anstatt die Enthüllungen ohnmächtig einzusaugen. Denn wenn man sich schon nicht das Wissen der Hacker aneignen kann, dann doch zumindest ihre Kreativität für den Protest.
3 Jan 2014
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