taz.de -- Umstrittene Kunstaktion in Norwegen: Völkerschau reloaded
Kann ein „Menschenzoo“ zur Auseinandersetzung mit einer rassistischen Epoche anregen? In Norwegen wagen zwei Künstler einen Versuch.
Was vor hundert Jahren unmenschliche, aber gängige Praxis war, wird heute in Form einer Kunstaktion wieder zum Leben erweckt: Völkerschauen.
„Wo ich ging und stand wurde ich begafft, wildfremde Leute fuhren mir mit den Fingern durch die Haare, rochen an mir, ob ich echt sei...“ So beschreibt Theodor Michael, ein schwarzer deutscher Zeitzeuge, seine Erfahrungen als Mitwirkender in Völkerschauen.
Wie Tiere wurden Menschen nicht-europäischen Aussehens für eine breite Öffentlichkeit ausgestellt. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in mehreren europäischen Ländern und Nordamerika diese Praxis, die unter anderem der Versicherung eigener Überlegenheit dienen und somit die Kolonisierung rechtfertigen sollte. Aber auch Unterhaltung und Sensationsgier spielten eine Rolle bei diesen Vorführungen – die Afrikaner wurden als unzivilisiert und primitiv gezeigt.
Auch in Oslo lebten 1914 im Rahmen der Weltausstellung fünf Monate lang 80 Senegalesen in einem abgeschlossenen Areal, das „The Congo Village“ genannt wurde. „Traditionell“ gekleidet, lebten die Afrikaner in Hütten mit Palmendächern und gingen alltäglichen Tätigkeiten wie Kochen oder Handwerken nach. Mehr als die Hälfte der norwegischen Bevölkerung besuchte seinerzeit diese Kolonialausstellung, die der norwegische König eröffnet hatte. „Es ist wundervoll, dass wir weiß sind“, fasste das norwegische Magazin Urd damals zusammen.
Aus kollektiver Erinnerung ausgelöscht
Zwei in Oslo lebende Künstler wurden vor einiger Zeit auf dieses Kapitel der norwegischen Vergangenheit aufmerksam und waren verwundert, wie wenig es präsent ist. „Wir haben vermutet, dass sei verbreitetes Wissen unter Einheimischen“, schreiben Mohamed Ali Fadlabi und Lars Cuzner auf ihrer [1][Webseite]. Aber als sie herumfragten, um mehr zu erfahren, stellte sich heraus, dass kaum ein Norweger davon gehört hatte. „Selbst wenn sie von Völkerschauen in anderen Länder wussten.“
Der im Sudan geborene Fadlabi und der kanadisch-schwedische Cuzner begannen ihr Projekt „European Attraction Limited“ zu planen. Ein Menschen-Zoo soll an „The Congo Village“ erinnern und eine Diskussion über Kolonialismus und Rassismus anregen. Eröffnet wird das Projekt Mitte Mai im Rahmen der Feierlichkeiten zum 200-jährigen Jubiläum der norwegischen Verfassung.
Als die Projektidee öffentlich wurde, rief das schnell Kritiker auf den Plan. Rune Berglund Steen vom Norwegian Centre Against Racism bezeichnete das Vorhaben als „entwürdigend“ und befürchtete, dass Kinder afrikanischer Herkunft schikaniert und belästigt werden könnten.
Cuzner und Fadlabi wollen allerdings keine Eins-zu-eins-Kopie der Schau von 1914 erschaffen. Der Aufruf auf ihrer Webseite an potenzielle Komparsen richtet sich an „jeden von überallher aus der Welt, der an die Wichtigkeit einer Diskussion über Kolonialismus und die Entwicklung von Rassismus glaubt.“ Auf Anfrage der taz teilen die beiden mit, dass sie die Protagonisten anhand einer schriftlichen Stellungnahme auswählen, ohne etwas über deren Hintergrund wissen zu wollen.
„Dabei könnte aber immer noch eine Gruppe nur aus Afrikanern oder einer anderen ethnischen Gruppe herauskommen. Für uns spielt das letzlich keine Rolle.“ Vor diesem Hintergrund änderte Steen seine Haltung und meint, die Ausstellung „könnte positiv sein“. Mit dem Risiko jedoch „ein sehr verwirrendes Echo“ auf die Situation von 1914 zu erzeugen.
Eine [2][Online-Petition], ins Leben gerufen von Halima Hosh aus London, fordert den sofortigen Stopp des Kunstwerks. Sie fragt: „Würden die sogenannten Künstler ein Live-Konzentrationslager in Deutschland wieder erschaffen, um eine Debatte über Nazis und Neonazis zu entfachen? Ich glaube nicht. Niemand möchte eine sehr schmerzhafte Zeit reaktivieren.“
Keine Ahnung von schwarzer Geschichte
Mehr als 1250 Unterzeichner unterstützten die Petition bisher. Die Künstler sehen derlei Kritik positiv. „Je mehr Menschen ihre Meinung ausdrücken, umso größer ist die Chance, dass neue Fragestellungen und neue Erkenntnisse entstehen“, meinen sie. Hosh ist überzeugt, dass jemand der auf die Idee kommt, eine Völkerschau zu reaktivieren, „nicht die geringste Ahnung von schwarzer Geschichte“ habe und was solch eine Ausstellung für schwarze Menschen bedeute.
Theodor Michael, der in Deutschland an Völkerschauen teilnahm, [3][resümiert in einem Interview][4][:] „Es war schlimm! Aber als Kind hat man ja keine Wahl, man kann sich kaum verweigern, wenn es den Druck gibt.“
Druck gibt es indessen für die Teilnehmer der Wiederaufführung nicht. Mehr als 80 Menschen hätten sich angeboten, obwohl bei der Registrierung darauf hingewiesen wird, dass es teils heftige Kritik am Projekt gibt.
Wie die Ausgestellten sich dem Publikum präsentieren werden, ist offen. „Wie in jedem anderen Zoo, wo man lebende Geschöpfe beobachten kann, haben wir sie gebeten, zu kommen und dort zu leben. Wie sie das tun, ist ihnen überlassen“, so Cuzner.
13 May 2014
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