taz.de -- Berliner Szenen: Moschee im All
Ein Arztbesuch zum Jahresanfang. Er beginnt mit Verdacht auf Keuchhusten und endet mit der Islamisierung des Mondlandes.
Das neue Jahr beginnt mit entsetzlichem Husten. Auf dem Weg zur Ärztin laufe ich vorbei an einem Geschäft für Bauchtanzbedarf und einem Autowrack. Daneben erklärt eine Mutter ihren zwei Kindern, dass das Auto nach dem Unfall bestimmt noch nicht so krass aussah, dass aber eben zwischendurch Silvester war.
Im Wartezimmer sitzt ein Mann, der ähnlich schlimmen Husten hat wie ich, aber bei mir klingt es, soweit ich weiß, noch vergleichsweise süß, während es bei ihm vor allem eklig ist. Alle Wartenden sitzen in einer ausgeklügelten Formation möglichst weit voneinander weg und möglichst superweit weg von dem hustenden Typen.
Die Ärztin hört mich ab und sagt: „Könnte Keuchhusten sein.“ Ich soll am nächsten Tag zu Blutabnahme, Speichelprobe und EKG wiederkommen. Zeitsprung. Die Arzthelferin sagt, ich soll mich obenrum freimachen. Sie klemmt mir Dinger an Hände und Füße, und in einem mittelmäßigen Horrorfilm würde sie da jetzt wohl Strom durchjagen. Stattdessen nimmt sie kleine, blaue Nüpsis und klebt sie auf mich drauf, ordentlich um die linke Brust herum.
Ich hebe den Kopf und gucke an mir runter. „Ruhig liegen bleiben“, sagt die Arzthelferin. Dann schreibt das Gerät mein EKG, und die Arzthelferin geht mit dem Zettel raus, die Ärztin soll gucken, ob es gut genug ist. Ich bleibe nackt und verkabelt liegen und gucke mich an. Wunderschön spacemäßig sieht es aus. Die blauen Saugdinger sehen aus wie lauter kleine Raumschiffe, die um eine Moschee – meine Brust – herum gelandet sind. Die Islamisierung des Mondlandes.
Ich gucke rüber zu dem Stuhl, auf dem meine Klamotten liegen mit dem Handy in der Hosentasche. Ich will ein Foto machen, kann aber nicht aufstehen. Schade. „Ist alles gut“, sagt die Arzthelferin, als sie zurückkommt, dann fliegen die Raumschiffe weg, und ich packe die Moschee wieder ein.
17 Jan 2015
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