taz.de -- Die Wahrheit: Winkel geschlossen

In Hannover schließt eine Institution: die Gaststätte „Vater & Sohn“, die längst von der Unesco zum Weltkulturerbe hätte ernannt werden müssen.

Binnen weniger Wochen schlossen vier Kneipen in unserem Viertel, als läge das Quartier in Griechenland oder Portugal. Dabei tun Kollege Weckerling und ich unser Bestes, Schänken regelmäßig aufzusuchen. Doch was wir beitragen, reicht wohl nicht aus, um die jeweiligen Buchhalter in Euphorie zu versetzen.

Freilich gibt es auch Kneipen, die aus vielerlei Gründen dichtmachen. Um zu erläutern, warum zum Beispiel das Wirtshaus „Vater & Sohn“ zusperrt, fehlt hier jedoch der Platz. Auch dafür, in Erinnerung zu rufen, dass ich schon vor Ewigkeiten bei der Unesco-Kommission beantragt habe, „Vater & Sohn“ als Weltkulturerbe einzutragen. Es verhallte ungehört.

Nun gingen wir ein letztes Mal in die Warmbüchenstraße, um betont lebensklug und weise diese bitteren Stunden einer historischen Zäsur zu verkraften. Weisheit? Bevor Weckerling auf diesen Punkt zu sprechen kam, gesellte sich Herr W. hinzu, seines Zeichens Filmproduzent. Nein, sein letzter Film ist für keinen Oscar nominiert.

Nun erläuterte Weckerling, dass sein Zahnarzt seit etlichen Jahren über die schmerzfreie Existenz von Weckerlings vier Weisheitszähnen rätselte. Über zwei davon sprächen die Röntgenbilder eine andere Sprache, nämlich eine, die sie für marode erklärt. „Mindestens diese Weisheit ist eine Frage des Willens“, meinte Weckerling, woraufhin Herr W. floskelte: „Gut gegeben!“

„Vater & Sohn & Heiliger Geist“

Um uns von dem Verlust abzulenken, erzählte Herr W. von einem vielleicht nicht sehr frischen „Konzept“: Zeitgenossen in Kürze mit Schlagworten zu umreißen, mit denen Spielfilme sortiert werden. Herr P. stelle etwa einen Action/Adventure/Sci-Fi-Typus dar, Frau K. einen Romance/Drama/Comedy-Typ: „Meiner Ansicht nach jedenfalls“, fügte Herr W. hinzu.

Anne, die gute Seele dieses Horts vollkommener Gastlichkeit, brachte die nächsten Bierkrüge. Drei Jahrzehnte hat sie hier gearbeitet – herzlich, ehrlich, unermüdlich. Wir schauten uns betrübten Blicks in die Augen. Schwiegen. Was wäre noch zu sagen? So etwas wie: Auch alle Dichtung, so scheine es an einem solchen Abend, spräche von Lebewohl? Alles reime sich auf Abschied und ade? Ach, nur Vergängliches ist schön? Bitte nicht. Nicht in Pathos verfallen, sondern gefasst die Probleme der Ersten Welt behandeln, oder?

Da stand Weckerling jäh auf, nahm einen tiefen Schluck, atmete durch. Zunächst änderte er den Namen der Wirtschaft in „Vater & Sohn & Heiliger Geist“, danach sprach er jenes Gedicht von Theodor Kramer, das Bernd Eilert einst erhellend kommentiert hatte. Nicht im „Vater & Sohn“, sondern im „Archiv der Poesie“ des Norddeutschen Rundfunks: „Wann immer ein Mann trifft auf einen, / der im Winkel sitzt, stumm und allein, / so schuldet, so sollte ich meinen, / er ihm ein Glas Bier oder Wein. // Bis die Augen nicht unstet mehr wandern / und sich aufhellt das bittre Gesicht; / dies schuldet ein Mann einem andern, / aber zuhören muss er ihm nicht.“

So wenig, wie man zuhören muss, so wenig muss man hier etwas hinzufügen.

4 Feb 2015

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