24-11-2024
Seit der Corona-Epidemie benutzt J. nur noch selten den öffentlichen Nahverkehr. Manchmal können Wochen, ja Monate vergehen, daß er mit dem Bus oder der Straßenbahn fährt und nun fallen ihm Veränderungen im Verhalten der Fahrgäste deutlicher auf.
Jetzt z.B. diese beiden Kinder, vermutlich Grundschulalter, aus wohlhabenden Verhältnissen, davon künden all die kleinen, modischen Accessoirs, Taschen, Mützen, Brillen, die Lichtreflektoren für den dunklen Herbst. Auffallen tun sie jedoch aus einem anderen Grund: Sie haben keine Smart-Phones. J. schaut sich um. Die Fahrgäste scheiden sich in zwei Gruppen: die einen, die in ihre Smart-Phones versenkt sind und die anderen. Die anderen, das sind entweder junge Kinder oder Alte. Die Alten sind keineswegs übermäßig alt, so alt wie J. oder wenig älter. Kinder und Alte, auch wenn sie das Leben aus entgegengesetzter Richtung betrachten, haben mehr gemein, als man gewöhnlich denkt. Vor allem bilden sie seit ca. 120 Jahren eine gemeinsame Gruppe: derjenigen, die nicht am Produktionsprozeß teilnehmen, die nicht arbeiten. Doch um Produktion geht es längst nicht mehr. Jetzt sind sie diejenigen, die nicht am permanenten Senden und Empfangen von Nachrichten beteiligt sind. Sie sind die einzigen, denkt J., die noch frei schweifenden Gedanken nachhängen. Die Aufmerksamkeit aller übrigen wird gelenkt, gesteuert, gegängelt -- pausenlos.
Die Kinder und die Alten sind frei. Ihr Blick mag leer wirken. Mal ist er ein Starren, mal ein rastloses Umherstreifen. Doch das bedeutet nichts. Denn Denken und Blick sind entkoppelt.